Neu an der Leuphana: Prof. Dr. Michael Staab – Von Ameise bis Zikade
21.07.2025 Der Juniorprofessor für Tierökologie und trophische Interaktionen untersucht, wie sich Veränderungen in Lebensräumen auf Arten und Artgemeinschaften auswirken. Dabei interessieren insbesondere Interaktionen zwischen unterschiedlichen Tiergruppen.

Herr Professor Staab, wie sehr macht der Klimawandel Insekten zu schaffen?
In Bezug auf den Klimawandel stellen wir fest, dass sich südliche Arten immer weiter nach Norden ausbreiten. Der Anteil nicht-heimischer Arten steigt. Aus Sicht dieser Insekten ist der Klimawandel nichts Schlechtes. Die meisten Insekten mögen es warm. Ihre komplette Physiologie ist an die Temperatur gekoppelt. Aber es gibt eben auch Arten, deren physiologische Grenze bereits bei niedrigeren Temperaturen erreicht ist. Der häufige Mistkäfer Anoplotrupes stercorosus etwa, den Spaziergänger aus der Lüneburger Heide kennen, bewegt sich bereits bei 38 Grad Außentemperatur nicht mehr. Deswegen finden wir ihn auch am häufigsten in Wäldern, also kühleren Habitaten. Andere Dungkäfer-Arten sind dagegen noch bei Oberflächentemperaturen von 47 Grad aktiv.
Welche Rolle spielen mikroklimatische Bedingungen?
Gewisse Temperaturschwankungen nach oben und unten sind normal. Mich interessieren die Auswirkungen von Extremen. In einem zukünftigen Forschungsprojekt möchten wir uns gern die mikroklimatischen Bedingungen auf einer Wiese ansehen. Bei großer Hitze kann beispielsweise eine Brennnesselpflanze Refugium für empfindliche Arten sein. Was aber passiert, wenn solche Schutzzonen fehlen? Wiesen sind klimatisch sehr heterogen. Wir können heute mit Drohnen die Temperatur in Echtzeit und Zentimeter genau messen. Mit einem Insektensauger entnehmen wir dann Tiere auf den Probeflächen und bestimmt die Diversität.
Welche Arten interessieren Sie besonders?
Ich bin nicht nur an einzelnen Arten interessiert. Es ist wichtig, systemisch zu denken und möglichst viele Tiergruppen in die Betrachtung einzubeziehen: Käfer, Wanzen, Ameisen, Schnecken oder Spinnentiere. Wie beeinflussen Veränderungen in Habitaten Artgemeinschaften, deren Funktion und Interaktion zwischen ihnen – ob trophisch („wer ernährt sich von was“) oder nicht-trophisch. Alle Tiere müssen irgendwelche Ressourcen nutzen – sei es Nahrung, seien es Nistplätze. Vereinfacht gesagt fragen wir: Welche Tiere leben in einem Habitat, was tun diese Tiere und wie beeinflussen sie sich gegenseitig und die Prozesse in Ökosystemen?
Sie haben bereits in einigen großen Vorhaben geforscht. Welche sind das?
Ich gehöre unter anderem zum Arthropoden-Kernteam in den Biodiversitäts-Exploratorien und bin Teil der MultiTroph-Forschungsgruppe der BEF-China-Plattform. Dort beschäftige ich mich unter anderem mit Nahrungsnischen von Ameisen in artenreichen und artenarmen Wäldern. Uns interessiert, wie wichtig eine hohe Biodiversität für das Funktionieren eines Ökosystems ist.
Wie wichtig ist Artenkenntnis heute noch?
Sehr wichtig. Etwas abgedroschen formuliert: Nur was wir kennen, können wir schützen. An der Leuphana wird das Thema glücklicherweise in der Lehre noch großgeschrieben und der Umgang mit Bestimmungsschlüsseln intensiv unterrichtet. In der Forschung nutzen wir auch mehr und mehr Meta-Barcoding, eine molekularbiologische Methode zur schnellen und automatisierten Identifikation von Arten in komplexen Umweltproben. Hierdurch können wir Aussagen zu vielen Tiergruppen tätigen. Dies ersetzt aber keinesfalls die klassische Bestimmung von Arten anhand ihrer Merkmale.
Der Biodiversitätsverlust findet mittlerweile auch in den Medien mehr Beachtung. Worin sehen Sie die Hauptursache für das Insektensterben?
Genau verstehen wir es leider immer noch nicht. Die Ursachen sind nicht so monokausal, wie viele es sich wünschen. Es ist sicherlich nicht nur der Klimawandel oder nur das Glyphosat. So einfach kann es auch nicht sein. Allein in Deutschland haben wir 30 000 Insektenarten, weltweit über eine Million und alle besitzen eine eigene Biologie. Und unsere Daten geben auch Hoffnung: Die Talsohle scheint erreicht. Für machen Arten sehen wir sogar zarte Zuwächse. Durch die öffentlichen Diskussionen sind Insektensterben und die Notwendigkeit zu handeln mehr ins Bewusstsein gerückt.
Naturschutz wirkt also?
Auf jeden Fall. Es gibt nicht nur schlechte Nachrichten. Schauen Sie nur unsere Fließgewässer an. Vor 50 Jahren gab es im Rhein fast keine Fische mehr. Viele Flüsse wurden renaturiert. Diese Beispiele zeigen: Wenn wir uns für Naturschutz engagieren, können wir etwas verändern.
Was kann ich selbst für den Naturschutz tun? Sind Insektenhotels eine gute Idee?
Es kommt darauf an. Das meiste, was in Baumärkten steht, ist für den Abfallcontainer. Die Röhren sind einerseits zu kurz, andererseits haben sie einen zu kleinen Durchmesser. Heimische Bienen und Wespen benötigen eine Breite von 2 bis 10 Millimeter und eine Länge von mindestens 15 bis 20 Millimeter. In der Röhre müssen unter anderem Pollenvorrat und Brutzellen Platz finden. Und es sollte für ein Insektenhotel niemals Nadelholz verwendet werden, da es Harz enthält und die Fühler und Flügel der Tiere verklebt.
Vielen Dank für das Gespräch!
Michael Staab studierte Biologie an der Universität Würzburg von 2005 bis 2010 mit den Schwerpunkten Tierökologie und Tropenbiologie. Von 2011 bis 2014 promovierte er an der Leuphana Universität Lüneburg im BEF-China-Projekts über den Einfluss der Baumvielfalt auf Insektengemeinschaften in subtropischen Wäldern. Er ging als Postdoc an die Universität Freiburg und forschte bis 2020 im Fachbereich Naturschutz und Landschaftsökologie unter der Leitung von Alexandra-Maria Klein. Von 2017 bis 2018 war er Junior Fellow am Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS). Im Frühjahr 2020 wechselte er an die Technische Universität Darmstadt. Seit 2025 ist er Juniorprofessur für Tierökologie und trophische Interaktionen an der Leuphana.
Für seine Forschung wurde Michael Staab bereits mehrfach ausgezeichnet: Maria Sibylla Merian Award (2017) der Gesellschaft für Tropische Ökologie, Horst-Wiehe-Preis (2017) der Gesellschaft für Ökologie sowie den Göttinger Preis Waldökosystemforschung (2019) der Universität Göttingen.
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